„Die Schule hat im deutschsprachigen Ausland einen außerordentlich guten Ruf. Wir haben diese vielseitige und unkonventionelle Institution immer wieder bewundert. In Südtirol scheint der Prophet im eigenen Land nichts zu bedeuten.“
Hanspeter Horner (Regisseur)
Yukie Koji (Choreografin)
Bereits im Pub haben wir mit Workshops für Schauspiel, Bühnentechnik und Lichtgestaltung be- gonnen. Die wirkliche Theaterschule mit ganztägigem Unterricht entstand in mehreren Etappen erst Ende der 1990er-Jahre. In den ersten Jahren wurde sie von mir zwar didaktisch geleitet, verwaltungstechnisch aber vom Non-Profit-Verein „Kervan“ getragen und vom Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. Bald aber wurde uns bewusst, dass es aus verschiedenen Gründen besser sei, die Theaterschule vollständig, d.h. auch verwaltungsmäßig ins Stadttheater Bruneck zu integrieren. Nach absolvierten Seminaren und Kursen wurde das Stadttheater Bruneck vom Europäischen Sozialfonds als Ausbildungsstätte akkreditiert.
Die Theaterschule Bruneck war die einzige Ausbildungsstätte für Theaterberufe in Südtirol. Bereits in den Jahren 1997 bis 2003 hat sie Schauspieler, Regisseure und Bühnentechniker für das professionelle Theaterleben ausgebildet. Nach einer sechsjährigen Pause wurde unter der Trägerschaft des Stadttheaters Bruneck sie wieder ins Leben gerufen.
Obwohl gewisse Kreise versuchten uns auszubooten, konnten wir Ende 2009 schließlich mit der „Europäischen Theaterschule Bruneck“ starten und uns in nur sechs Jahren zu einer der erfolgreichsten Ausbildungsstätten vor der Österreichischen Paritätischen Schauspiel-Prüfungskommission in Wien etablieren.
Dann aber brach 2014 der südtirolweite ESF-Skandal auch über uns herein. Wegen schwerwiegender Verstöße im Umfeld des Bozner ESF-Amtes hat die EU die Zahlung aller Fördermittel eingestellt. Obwohl wir, so wie die meisten anderen Förderempfänger auch, nachweislich regelkonform gearbeitet haben, bedeutete der Skandal auch das Aus für unsere Schule. Dankenswerterweise griff das Kulturamt der Südtiroler Landesregierung unserer Schule 2015 einmalig unter die Arme. Damit konnten wenigstens alle Schüler des laufenden Lehrgangs ihre Ausbildung mit erfolgreicher Prüfung in Wien abschließen.
Seither gibt es in Südtirol keine Schauspielausbildung mehr und am Stadttheater Bruneck müssten wir uns nun in Ermangelung gesicherter Finanzierungen auf Theaterworkshops für Kinder und Jugendliche beschränken. Am meisten ärgert mich, dass aufgrund des ganzen bürokratischen Schlamassels ein Projekt abgewürgt wurde, das nachweislich für unser Land einen großen Mehrwert erbracht hat. Unsere Schule trug wesentlich zur Professionalisierung der Südtiroler Theater- und Filmszene bei und ermöglichte nicht wenigen Schauspielerinnen und Schauspielern den Einstieg in ihren Beruf. Aus der Südtiroler Theaterszene nicht mehr wegzudenken sind Alexia Brunner, Stefan Ghedina, Brigitte Knapp, Ruth Kofler, Sabine Ladurner, Christian Mair, Jasmin Mairhofer, Martin Radecke, Hannes Perkmann, Thomas Rizzoli, Petra Rohregger, Martin Schneider, Marlies Untersteiner, Helga Walcher um nur einige zu nennen. Stefanie Lercher ist heute am Tiroler Landestheater engagiert, Lukian Guttenbrunner war Regieassistent bei Claus Peymann am Burgtheater und inszeniert heute am Volkstheater München, Igor Karbus spielte in Wien am Theater in der Josefstadt, Maria Kankelfitz am Stadttheater Baden-Baden, Melanie Arnezeder und Bálint Walter in Salzburg, Marie Theresa Lohr in Bonn, Cecilia Kukua am Deutschen Theater München, Jasmin Mairhofer brilliert immer wieder in TV- und Filmproduktionen...
Die Theaterschule Bruneck war eine Ganztagesschule. Die Ausbildung dauerte insgesamt 3 Jahre und wurde vom Europäischen Sozialfonds und von der Südtiroler Landesregierung finanziert. Für die nach einer Eignungsprüfung aufgenommenen Schüler war Unterricht und Aufenthalt in Bruneck kostenlos.
Die Einrichtung unterschied sich von den meisten anderen Schauspielschulen dadurch, dass nicht nur klassischer Schauspielunterricht gegeben wurde, sondern dass jeder Schüler auch alle anderen Theatertätigkeiten erlernen musste. Auch Regie, Dramaturgie, Bühnen- und Kostümbildner, Maske, Licht- und Tontechnik usw. standen auf dem Unterrichtsplan.
Alle Dozenten waren an Theatern beschäftigt und verfügten über internationale Erfahrung. Um die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu überprüfen, fand jährlich eine Prüfung vor den Dozenten statt. Das Ergebnis dieser Prüfung entschied über Fortsetzung und über die Zulassung zu den Prüfungen vor der Österreichischen Paritätischen Schauspielkommission „Kunst und Medien“ in Wien.
Erfolgreicher Abschluss vor der Paritätischen Schauspiel-Prüfungskomission in den Kammerspielen Wien
PUSTERTALER ZEITUNG
AUSGABE 22 Nov. 2015
Europäische Theaterschule Bruneck - Grobes politisches Foul
Noch immer ist der Fortbestand der „Europäischen Theaterschule Bruneck“ nicht gesichert. Stadttheaterdirektor Klaus Gasperi hat die diesbezüglichen Missstände aufgrund des ESF-Skandals schon des Öfteren öffentlich angeprangert und appelliert nun an die Politik, endlich rasch zu handeln. Derzeit hängt eine ganze Reihe von Kulturmenschen in der Luft.
Unsere Schule, ein international anerkanntes Ausbildungs-Vorzeigebeispiel und Spitzenreiter bei den Prüfungserfolgen vor der Österreichischen Paritätischen Schauspielkommission in Wien, steht nun wegen Eurer „Vogel-Strauß-Politik" vor dem definitiven Aus!“ schreibt Gasperi in seinem offenen Brief. Was ihn ärgert: Solange die Schule vom ESF finanziert wurde, hätten etliche Südtiroler Institutionen, nicht nur im Theater- und ganz allgemein im Kulturbereich, sondern auch Tourismusorganisationen, Gemeinden und Landesämter auf das Know-how der Schule zurückgegriffen. Seit dem ESF-Skandal ist nun alles blockiert, und die Auszahlungen sind eingefroren. Auf stattliche 150.000 Euro beläuft sich die Summe beim Stadttheater Bruneck. Vier Mitarbeiter mussten angesichts des Stillstands bereits entlassen werden.
Großes Schweigen
Und von Seiten der Politik? Klaus Gasperi - sichtlich in Rage - fährt starke Geschütze auf: "Nichts als großes Schweigen! Ihr habt im Vorjahr den Schülern zwar das dritte Jahr für den Abschluss ermöglicht, vom zugesagten Beitrag für unsere drei „Quereinsteiger", die noch die Abschlussprüfungen in Wien nachholen müssen, hört man jetzt aber plötzlich nichts mehr! Deshalb haben wir im September 2015 bei der Region Trentino Südtirol angesucht. Die Antwort war, dass das Gesuch erst im April 2016 behandelt wird. Eine beachtenswerte, bürgernahe Effizienz, wenn man sieben Monate braucht, ein Gesuch zu lesen!“ bemängelt Theaterdirektor Gasperi in seinem Schreiben. Sein Fazit: Die Region ist auch zum Vergessen! Die Lokalpolitik bekommt ebenfalls ihr Fett weg: „Und es scheint, dass auch die Stadtgemeinde Bruneck die kulturelle Bedeutung und den wirtschaftlichen Nutzen dieser international geschätzten Ausbildungsstätte nicht gecheckt hat – sonst würde sie sich ein bisschen mehr dafür einsetzen.“
Zahlreiche Betroffene
Schützenhilfe bekommt der wütende Theatermacher von zahlreichen Unterstützern aus dem Kulturbereich. „Was für ein Armutszeugnis wäre das, wenn die Südtiroler Landesregierung der Theaterschule Bruneck jetzt nicht aus der Patsche helfen würde. Was für eine Geringschätzung unseres Berufsstandes! Es geht hier um den einzigen Ort, an dem man sich in Südtirol zum Schauspieler ausbilden lassen kann“, kommentiert der bekannte Südtiroler Schauspieler und Regisseur Georg Clementi die Causa Theaterschule. Von Seiten der Intendanz (Irene Girkinger) und der Dramaturgie (Ina Tartler) der VBB kommt ebenfalls eine eindringliche Befürwortung für den Weiterbestand der Theaterschule in Bruneck: „Sie ist für die weitere Professionalisierung der Südtiroler Theaterlandschaft essenziell, wir brauchen junge, gut ausgebildete Talente aus der Region auf unseren Bühnen. Der Untergang der Schule wäre ein enormer Verlust sowohl für das Stadttheater Bruneck als auch die anderen Bühnen Südtirols. Es wäre jammerschade um die enthusiastische Aufbauarbeit von Klaus Gasperi und seinem Team, und es ist eigentlich nicht zu verantworten, dass Studentinnen und Studenten, die noch ihre Abschlussprüfungen in Wien machen müssen, bald auf der Straße stehen.“
Theaterschule hat guten Ruf
Der Schweizer Regisseur Hanspeter Horner und die japanische Choreografin Yukie Koji, die derzeit an der Inszenierung „Ein Käfig voller Narren“ im Stadttheater arbeiten und dort auch schon als Dozenten tätig waren, sehen das Ganze folgendermaßen: „Die Schule hat im deutschsprachigen Ausland einen außerordentlich guten Ruf. Wir haben diese vielseitige und unkonventionelle Institution immer wieder bewundert. In Südtirol scheint der Prophet im eigenen Land nichts zu bedeuten.“
Der gute Ruf wird auch aus Wien bestätigt. Elisabeth Remes, als Vorsitzende „die graue Eminenz“ der Österreichischen Paritätischen Schauspiel-Prüfungskommission in Wien: „Die Leistungen der Schauspielschule Bruneck waren immer herausragend und eine Wohltat für alle anwesenden Prüfer. Es ist wirklich ein Jammer, so gute Ausbildungsstätten am langen Arm verhungern zu lassen.“ Oliver Karbus, Regisseur und als Schauspieler unlängst in einer Hauptrolle in einem Film mit Hannelore Elsner zu sehen, legt noch einen drauf: „Auch die Leistungen der Ausgebildeten an allen Theatern Südtirols und vielen Filmprojekten beweisen: Die Theaterschule Bruneck ist ein Garant für hochklassigen Nachwuchs in der Südtiroler Kulturlandschaft. Es wäre wahrlich eine Schande, diese Institution aufgrund skandalöser Machenschaften einiger verantwortungsloser Elstern schließen zu müssen.“
Südtiroler Kulturpolitik hinterfragen
Klaus Rohrmoser, langjähriger Schauspieldirektor am Tiroler Landestheater, unterstreicht in einem Aufruf an die Politik die Wichtigkeit der Brunecker Theaterschule: „Diesen Ort gefährdet zu sehen, stimmt mehr als traurig und fordert angesichts anderer, viel weniger sinnvoller Aktivitäten der Südtiroler Kulturpolitik geradezu zum offenen Widerspruch heraus...“ Selbst aus Berlin trudeln Stimmen pro Theaterschule ein. „Den Erfolg dieser Schule muss ich nicht betonen, dass es in Bruneck und in Südtirol eine solche gibt, ist besonders wichtig für die junge Gesellschaft; Theater und Theaterspielen ist die wirksamste Form für die individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Reifeprozesse, nichts, was dort gefördert wird, geht verloren sondern fließt in die Gesellschaft ein. Wer eine weltoffene Gesellschaft will, wer die Integration will, macht mit einer Theaterschule alles richtig“, unterstreicht Maxi Obexer, Autorin und derzeit Gastprofessorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Wann rührt sich die Politik?
Gegenüber der PZ lenkt Klaus Gasperi ein wenig ein und betont, dass er sehr wohl das Engagement von Seiten der aktuellen Führungskräfte im ESF-Amt als auch im Südtiroler Kulturamt sehe. Gerade Ressortdirektorin Vera Nicolussi-Leck habe sich immer wieder vehement eingesetzt. Dennoch steckt man aufgrund der Altlasten derzeit fest. Und spielt damit den Ball wieder den politisch Verantwortlichen zu: „Es geht nur voran, wenn die Politik das will, es muss sich einfach kulturpolitisch etwas verändern!“ Kulturlandesrat Philipp Achammer war leider für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
In jedem Fall geht es Gasperi nicht um die Führung der Theaterschule allein. Wichtig sei in erster Linie, dass es so eine Ausbildungsstätte in Südtirol gibt. Den Nordtirolern mag die Südtiroler Unschlüssigkeit auf alle Fälle recht sein, wurde dort unlängst schließlich bereits eine zweite Schauspielschule gegründet...
jst
TAGESZEITUNG Online druckt den Brief von Klaus Gasperi vollinhaltlich ab:
„Sehr geehrter Herr Landeshauptmann,
ich lese in den Medien, dass es neue ESF-Ausschreibungen geben wird und Sie zuversichtlich sind, dass jetzt alles glattgehen wird.
Erlauben Sie mir bitte die Frage, wie das einmal und Gott mit dem Bozner ESF-Amt möglich sein soll? Wie sollen denn neue Ausschreibungen funktionieren, wenn die ESF-Bürokraten nicht einmal imstande sind seit Jahren abgeschlossene Projekte abzurechnen und auszuzahlen?
Es ist schlicht und einfach eine Frechheit, dass, wie im Fall der Europäischen Theaterschule Bruneck, die Kontrolle und Abrechnung der Schuljahre 2010 bis 2013 immer noch nicht abgeschlossen ist und die vom ESF-Amt dem Stadttheater Bruneck geschuldeten ca. 60.000 Euro, die mit teuren Bankkrediten vorfinanziert werden mussten, nach bald 7 Jahren(!) immer noch nicht ausgezahlt wurden.
Der stumpfsinnige und jeder Logik entbehrende Bürokratieterror des ESF-Amtes ist verantwortlich, dass unseren Mitarbeitern Gehälter nicht ausbezahlt werden können und dass Lieferanten und Vermieter zu Recht protestieren, weil sie nicht zu ihrem Geld kommen. Und es ist nur allzu verständlich, dass sich bei den Betroffenen immer mehr die Vermutung breitmacht, dass das ewige hinausschieben der Kontrollen eigentlich nur Taktik sein kann, um andere tatsächliche Unregelmäßigkeiten im damaligen ESF-Amt Bozen zu vertuschen und die dafür Verantwortlichen in eine strafrechtliche Verjährung zu retten.
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, wir wissen alle, dass Sie den ESF-Skandal nur geerbt haben und Ihre Regierung nichts damit zu tun hat. Gerade wir vom Stadttheater Bruneck und unsere Schulabsolventen sind Ihnen und Landesrat Achammer immer noch dankbar, dass Sie es vor zwei Jahren ermöglicht haben, das letzte Schuljahr auch ohne ESF-Beitrag abzuschließen. Dies war wichtig und trägt heute seine Früchte: nicht nur alle professionellen Theater unseres Landes profitieren regelmäßig vom hohen Ausbildungsgrad unserer Absolventen, es gibt auch kaum einen Film, der in Südtirol gedreht wird, an dem nicht an unserer Schule ausgebildete Schauspieler engagiert sind.
Die Europäische Theaterschule Bruneck hat seine Schüler auf höchstem Niveau für die Arbeitswelt vorbereitet, die internationale Wertschätzung von Theaterleitern, Filmproduzenten und Regisseuren hat uns das immer wieder bestätigt.
Und der Großteil unserer ehemaligen Schüler arbeitet heute auch tatsächlich im Theater und beim Film. Ganz im Gegensatz zu manch ,schwindligen‘ ESF-Projekten, die dank Vetternwirtschaft im ESF-Amt Bozen und durch das wohlwollende Wegschauen der damals zuständigen Südtiroler Landespolitik zum bekannten ESF-Skandal auf europäischer Ebene geführt haben.
Das Stadttheater Bruneck ist immer noch eine ESF-akkreditierte Ausbildungsstätte.
Trotzdem werden wir nie und nimmer mehr für dieses Amt Kurse oder Schulungen abhalten. Wir haben mit diesem Verein schon tausende von Euro draufgezahlt – und die Politik steckt ihren Kopf in den Sand und lässt uns im Regen stehen. Das reicht uns!
Wir haben eine äußerst erfolgreiche, im gesamten deutschsprachigen In- und Ausland hochgelobte Theater- und Schauspielschule aufgebaut. Vielen jungen Südtirolern konnten wir den Weg für eine Karriere auf der Bühne und vor der Kamera ebnen.
Damit ist jetzt Schluss – dank Desinteresse, Gleichgültigkeit und mangelnder Weitsicht im hochgelobten Land Südtirol!“
Klaus Gasperi, Februar 2017